May 27, 2017 / erstellt am:  June 3, 2017
Fotografie, Dokumentation / Bewertung: 9

Keine Zeit zu schlafen - ein Erfahrungsbericht

Und plötzlich hörte ich die Vögel draussen zwitschern. Es war doch erst vier Uhr und draussen noch dunkle Nacht. Aber dennoch kündigte sich ein neuer Tag an und ich sass immer noch vor meinem Computer an der Arbeit. Freiwillig. Es hat mich niemand dazu gezwungen. Der Ehrgeiz hatte mich gepackt die Fotografien vom Vorabend gleich in der Nacht zu bearbeiten um sie dann am nächsten Tag auf flickr online stellen zu können.

Es war in erster Linie eine persönliche Herausforderung, ob ich es tatsächlich schaffe, dieses Ziel zu erreichen. Oder würde die Müdigkeit mich davon abhalten, konzentriert zu arbeiten und dabei die Qualität hochhalten zu können? Ich habe es weniger für andere getan. Die wären auch damit zufrieden gewesen, wenn ich die Fotografien einen Tag später online gestellt hätte. Vielleicht war es unvernünftig, aber manchmal muss man unvernünftig sein um Ausserordentliches zu erreichen. Ich wollte die perfekte Dienstleistung bieten. Das heisst gute Qualität ohne lange darauf warten zu müssen. Je schneller ich liefern konnte, desto aktueller waren die Fotografien. Dabei war der Auftrag schlecht bezahlt. Aber auch nur weil ich zu wenig verlangt habe. Geld war also keine Motivation mir besonders Mühe zu geben. Mich motivierte eher der Umstand etwas zu tun, was ich noch nie getan hatte. In meiner Vergangenheit hatte ich auch schon Nächte durchgearbeitet. Zwei oder drei Mal. Aber immer durch äusseren Termindruck verursacht, den andere mir auferlegt hatten. Diesmal war es absolut freiwillig. Nicht einmal geplant. Erst während der Arbeit kam mir die Idee so lange zu arbeiten, bis ich eben fertig war.

Konkret ging es um zwei Konzertabende des LGBT-Chorfestivals südakkord in Bern. Pro Abend sieben Chöre auf der Bühne des Theaters National. Und davor noch einen Abend mit Empfang der Chöre im Rathaus. Der erste Abend war noch relativ einfach. Ein überschaubarer Zeitrahmen von 18 bis 21 Uhr. Entstanden sind 280 Fotografien, die ich dann bei der Nachbearbeitung zuerst auf 100 und danach auf 55 reduziert habe. Um 4 Uhr wurde ich fertig damit. Ich hörte die Vögel zwitschern und ging ins Bett, war allerdings nach 5 Stunden bereits wieder wach.

Meine Vorgehensweise beim Fotografieren ist eigentlich immer gleich. Oft mehrmals das selbe fotografieren und erst im Nachhinein eine Auswahl treffen. Ich rechne also schon bei der Entstehung damit, dass ich mindestens die Hälfte wegwerfen werde. Denn Wiederholungen wollte ich vermeiden. Natürlich kann es auch Schnappschüsse geben, die für sich alleine gelten, sofern die Qualität stimmt. Besonders bei schwierigen Lichtverhältnissen muss ich Kontraste und Farbtiefe korrigieren. Ebenfalls im Nachhinein bestimme ich den richtigen Bildausschnitt. Dadurch kann eine Fotografie einfach aufgewertet werden. Die Originaldatei ist also immer etwas grösser als das Endergebnis. Das Endformat von 3306 x 2200 Pixel ergab sich durch den Umstand, dass diese Grösse in Photoshop problemlos auf maximal 3 MB komprimiert werden kann. Fotografien mit ungewollten Unschärfen, langweiligen Bildausschnitten und unvorteilhaften Posen ladeten sofort im digitalen Kübel.

Die Reihenfolge der Fotografien wurde durch den Ablauf bestimmt. Daran habe ich nichts geändert. Umso wichtiger war es beim Fotografieren darauf zu achten möglichst abwechslungsreich zu bleiben. Das heisst zwischen Gesamt-, Portrait- und Detailaufnahmen zu variieren. Immer das selbe wird schnell langweilig. Auch die Auswahl von Hoch- und Querformat sorgte für Abwechslung, wobei ich mich auf 3 Formate beschränkte: Ein Hoch- und Querformat mit denselben Proportionen, 3306 x 2200 Pixel oder 2200 x 3306 Pixel und für die Gesamtansicht der Chöre ein spezielles Querformat mit 3306 x 1874 Pixel um den Leerraum über den Köpfen zu beschneiden.
An den Konzertabenden nahm ich mir vor pro Chor ungefähr 10 Fotografien gelten zu lassen. Die Chöre unterschieden sich durch ihre Grösse und nicht jeder Chor bot genügend abwechslungsreiche Bildmomente. So gab es am Ende für zwei Chöre 8 Fotografien und bei anderen musste ich mich auf 13 Aufnahmen beschränken, auch wenn es noch mehr gute Aufnahmen gegeben hätte. Aber eine gewisse Ausgewogenheit war mir wichtig.

Da die Schwulen Berner Sänger SCHWUBS in den vergangenen Jahren oft zu den Konzerten in Deutschland eingeladen wurden, beschlossen sie selber ein süddeutsches Chorfestival im Mai 2017 in Bern zu organisieren. Übrigens sehr gut organisiert, wie ich finde. Kompliment!
Während dem Fotografieren habe ich nicht nur gut hingeschaut, sondern auch gut zugehört und einige Auftritte haben mir sehr gut gefallen. Andere etwas weniger, was aber keinen Einfluss auf die Fotografien haben sollte. An den zwei Konzertabenden sind folgende Chöre aufgetreten:

Freitag 26.05.2017
19.00 – 19.30: Sweet & Power (Bern)
19.30 – 20.00: DonnAcappella (Frankfurt am Main)
20.00 – 20.30: Regenbogenchor (München)
20.30 – 21.00: Die Uferlosen (Mainz)
21:00 – 21:30 Pause
21.30 – 22.00: Queerbeet (Karlsruhe)
22.00 – 22.30: Philhomoniker (München)
22.30 – 23.00: Mainsirenen (Frankfurt am Main)
Gemeinsames Singen der Hymne: Alle Chöre

Samstag 27.05.2017
19.00 – 19.30: Rosa Note (Stuttgart)
19.30 – 20.00: Les Belles et les Femmes (Luzern)
20.00 – 20.30: Musica Lesbiana (Stuttgart)
20.30 – 21.00: Gemischter Herrenchor (Saarbrücken)
21:00 – 21:30 Pause
21.30 – 22.00: Die Trällerpfeifen (Nürnberg)
22.00 – 22.30: WEIBrations (Karlsruhe)
22.30 – 23.00: Schwubs (Bern)
Gemeinsames Singen der Hymne: Alle Chöre

Ein grosser Vorteil im Theater National war, dass sich der Gang zwischen den Stuhlreihen im Publikum in der Mitte befand. So konnte ich mich relativ ungestört jedoch in geduckter Haltung in diesem Gang hin und her bewegen mit idealer Frontalansicht der Bühne. Nur zwei oder drei Mal habe ich von den Seiten und einmal von oben von der ersten Galerie fotografiert. Störend jedoch waren die Mikrofonständer, die oft das Gesamtbild zerstörten. Man hätte diese Mikrofone, die den Ton für den grossen Saal verstärkten und dadurch unerlässlich waren, auch von oben herunterhängen lassen können. Aber Tonqualität kam anscheinend vor Bildqualität. So war ich gezwungen zwischen den Mikrofonständern durch zu fotografieren und konnte gewisse Sängerinnen und Sänger kaum berücksichtigen. Nur bei einer meiner Lieblingsfotografien habe ich die störenden Mikrofonständer nachträglich wegretuschiert.

Am ersten Konzertabend sind 400 Fotografien entstanden, die ich zuerst auf 122, danach auf 75 reduziert habe und wurde um 7 Uhr morgens fertig. Natürlich habe ich mir überlegt für den zweiten Konzertabend einfach weniger zu fotografieren, damit ich danach weniger Zeit für die Nachbearbeitung brauchte. Aber gerade das Gegenteil war der Fall. Ich habe sogar mehr fotografiert. Aus 630 Aufnahmen am zweiten Konzertabend habe ich 170 nachbearbeitet und am Ende 90 gelten lassen. Ich wurde erst um 11 Uhr am nächsten Tag damit fertig und bin danach nicht mehr ins Bett gegangen. Am späteren Nachmittag bin ich dann beinahe stehend eingeschlafen. Aber ich habe mich gezwungen wach zu bleiben und erst abends ins Bett zu gehen. Allerdings gleich nach dem Abendessen um 8 Uhr. Ich wollte den gestörten Schlafrhythmus überlisten, was mir tatsächlich einigermassen gelungen ist. Nach zehn Stunden Schlaf fühlte ich mich erholt. Und auch einen Tag später hatte ich keine gravierenden Müdigkeitsattacken. Dennoch habe ich nicht vor dieses Experiment so bald zu wiederholen.

Das Ergebnis sind 220 abwechslungsreiche Fotografien, die das aussergewöhnliche Ereignis dokumentieren. Und zugegeben bin ich etwas stolz, mein Ziel erreicht zu haben, die Fotografien zeitnahe auf flickr hochgeladen zu haben. Dies wurde übrigens auch vom Auftraggeber bemerkt und goutiert, was mich natürlich zusätzlich erfreut, auch wenn der benötigte Aufwand kaum bemerkt wurde. Abgesehen von einer Ausnahme habe ich die Auswahl nachträglich nicht mehr verändert. Die Ausnahme war eine Ergänzung am zweiten Konzertabend, weil es zuerst nur 219 Fotografien waren.

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