September 23, 2014 / erstellt am:  October 2, 2014
Grafik, Ausstellung, Szenografie, Beschriftung / Bewertung: 8

Kein grafisches Brimborium

Niemand liest gerne lange Texte in Ausstellungen oder man will sie zumindest gut lesen können. An erster Stelle steht die gute Lesbarkeit. Darüber was gute Lesbarkeit ausmacht, gibt es verschiedene Meinungen und kaum verbindliche Studien, darum vertraute ich auf mein persönliches Empfinden und meine Erfahrung als visueller Gestalter. Viel Textmenge so darzustellen, dass sie nicht nach viel aussieht, war die Herausforderung bei der Ausstellung «Fernes Donnergrollen – Deutschschweizer Literatur und Erster Weltkrieg» im Literaturmuseum Strauhof in Zürich.

Hilfreich dabei war die Gliederung in verschiedene Textebenen. Entsprechend ihrer Wichtigkeit variierte ich die Schriftgrössen von gross bei den Haupttexten zu etwas kleiner bei den Thementexten bis zu sehr klein (aber immer noch gut lesbar) bei den Quellenangaben und Exponatlegenden. Die Haupttexte fassen den Inhalt des Gezeigten eines Raumes zusammen. Sie bilden wie einen roten Faden durch die ganze Ausstellung und setzen das Gezeigte in einen Gesamtzusammenhang. Der Besucher und die Besucherin können sich daran orientieren und finden in jedem Raum diese schwarze Texttafel mit weisser Schrift. Die Thementexte gehen vertieft auf ein bestimmtes Thema ein und unterscheiden sich von den Haupttexten durch schwarze Schrift auf weissem Hintergrund auf kleineren Formaten. Die einzelnen aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate unterscheiden sich von den übrigen Texten in der Wahl der Schriftart (Akzidenz Grotesk condensed statt Garamond). Viel Texte wurde auch in Hörstationen untergebracht und mussten visuell nicht gestaltet werden. Für den Inhalt der Texte und Auswahl der Zitate waren die Kuratoren Dr. Mario Florin, Dr. Andreas Schwab und Ronny Trachsel unter der Leitung von Roman Hess verantwortlich.

Bewusst habe ich auf grafisches Brimborium verzichtet und die Beschriftung auf schwarz/weiss reduziert um möglichst neutral neben den farbigen Bildern und Exponaten dezent zu bestehen. Dadurch wirkt die Beschriftung wie nicht gestaltet, was sie dennoch ist, gemäss einem der Grundsätze von Dieter Rams: Gutes Design ist so wenig Design wie möglich. Ich erhoffte mir dadurch den Eindruck von viel Textmenge verringern zu können. Als einzige grafische Spielerei habe ich in Anlehnung an das Plakat bei den Haupttexten im Titel einzelne Buchstaben in einer Fraktur-Schrift neben die Akzidenz Grotesk gesetzt. Dass ich nur Schriften wählte, die zu jener Zeit um den Ersten Weltkrieg bereits existierten, wird wohl kaum jemandem, ausser vielleicht versierten Typografen, auffallen.

Um die Gestaltung möglichst lange variabel zu halten, haben wir uns entschieden alle Texte auf grössere und kleinere Schrifttafeln zu setzen, die dann während dem Ausstellungsaufbau erst richtig platziert werden konnten. Einen weiteren Vorteil dieser Vorgehensweise war das schnelle Austauschen von Schrifttafeln, wenn es Korrekturen oder Ergänzungen gab. Diese Schrifttafeln bestanden bei den Haupt- und Thementexten aus dickem Wellkarton, welche sich ideal ins Gestaltungskonzept vom Szenografen Richard Zeerleder einfügten:

In Anlehnung an damalige Zeitströmungen stützt sich das Gestaltungskonzept einerseits auf klare einfache Formen, kubistische und konstruktivistische Elemente, wenige grossflächig verwendete Farben, grafische und typografische Ansätze, und als Kontrast dazu einige Collagen.

Die Machart der Bauweise soll nicht durchgestaltet und perfekt sauber sein, sondern eher wie eine Bricolage wirken. Dadurch entsteht der Eindruck von Kulissen. Ein Blick hinter die Kulissen lassen die vordergründigen Aussagen in einem anderen Licht erscheinen und sind Ausdruck von Unsicherheit, Dekadenz, Spannung und Konflikte.

Die Ausstellungsräume sollen primär visuell, atmosphärisch wirken und die Aussagen durch Andeutungen, Konzentration oder Reduktion auf wenige, aussagekräftige Installationen von Objekten und Objektgruppen erreicht werden.

Die kulissenhafte Gestaltung erzählt vom vermittelten («Welt»-)Bild, von der Meinungsmache über bildliche Propaganda mit Postkarten, Plakaten, Zeitungen und andere Schriften und Pamphleten. Wer vermittelt, wer informiert sich wo? Wer macht Meinung, wer wird infiltriert?

Die Gestalterische Sprache der Ausstellung will die Gleichzeitigkeit der verschiedenen Sichtweisen und deren Reibungsflächen durch eine bewusst fragmentierte Ästhetik aufzeigen. Ambivalenz, Gegensatz, Zwiespalt, Zersplitterung, Polarisierung, Spaltung, Bruch und Graben sind zentrale Begriffe als Orientierung für die Gestaltung.


Die grafische Gestaltung dieser Ausstellung war eine tolle Erfahrung, insbesondere die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Leuten mit unterschiedlichen Ansichten und Vorstellungen. Ebenso der lange Entstehungsprozess über mehr als ein Jahr war eine interessante und lehrreiche Aufgabe.
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