December 5, 2009 / erstellt am:  December 7, 2009
Gedanken, Kunst, Design

Zwischen Kunst und Design

Für eine Vordiplomprüfung im Fach «Kunst und Design» an der «Fachhochschule für Medienwirtschaft und Medienmanagement» hat mich Sacha Pfander um ein Interview gebeten. An Hand des Sessels «Barcelona» von Ludwig Mies van der Rohe wollte er mir einige Fragen zum Thema «Kunst und Design» stellen. Zuerst dachte ich, dass ich nicht die geeignete Person für dieses Thema bin. Wenn ich es mir aber genauer überlege, habe ich sehr wohl eine Meinung dazu, die zwar subjektiv ist, was aber bei jeder anderen Person genauso wäre. Darum habe ich Sacha zugesagt und mir bereits im Voraus einige Gedanken dazu aufgeschrieben:

Ab wann ist Design Kunst?
Sowohl der Kunstbegriff wie auch der Designbegriff sind sehr schwammig und werden oft missbraucht. Ich habe da eine strikte Trennung: Kunst ist Kunst und Design ist Design. Wenn etwas seriell hergestellt wird kann es Design sein, wenn es ein Einzelstück ist, kann es Kunst sein (weil sowohl als auch noch andere Aspekte eine Rolle spielen). Nach dieser Definition muss ich mir natürlich überlegen, ob z.B. Fotografie auch Kunst sein kann? Fotografie beinhaltet ja auch den Aspekt des Seriellen, wird aber erst zur Kunst, wenn es als solches erklärt wird und wenn es in «ausgedruckter» Form zum einmaligen Kunstobjekt wird.
Wenn ein Designstück in einem Museum steht, heisst das nicht, dass es Kunst ist. Es steht eben in einem Designmuseum oder in einer Designabteilung eines Kunstmuseums (z.B. MoMa, New York).
 
Design ist auf die Lösung konkreter Probleme ausgerichtet (Zitat Rolf Fehlbaum). Design verknüpft Form und Funktion. Kunst hat mit Funktion jedoch nur wenig zu tun. Ein Kunstwerk ist ein Kunstwerk und hat meistens keine andere Funktion. Nach dieser Definition wird ein Designstück zum Kunstwerk, wenn man ihm die Funktion entnimmt, was beim Sessel «Barcelona» eindeutig nicht der Fall ist, da man nachwievor sehr gut darauf sitzen kann.
 
Ist ein Stuhl ein Kunstwerk?
Nach meiner Definition wäre ein Stuhl erst ein Kunstwerk, wenn er ein Einzelstück ist und auch noch andere Aspekte der Kunstauffassung erfüllt. Allerdings bin ich bereit meine strikte Definition von Kunst und Design etwas aufzuweichen. Um beim Sessel «Barcelona» zu bleiben ist die Idee, der Entwurf mit seiner Einzigartigkeit, Unverwechselbarkeit, Nachhaltigkeit und Werthaltigkeit durchaus als Kunstwerk zu betrachten, was jedoch schwieriger verständlich ist und zu Missverständnissen führen kann. Der Entwurf ist das geistige Eigentum des Designers, beim Kunstwerk verhält es sich ebenso. Der Entwurf (die Zeichnung) ist Kunst, das Produkt, der Sessel ist Design.
 
Wann ist ein Stuhl Design?
Heute ist vieles Design oder wird als solches erklärt, weil es gut tönt und sich besser verkaufen lässt. Es gibt keine allgemeingültige Begriffsdefinition.
 
Der Sessel «Barcelona» zählt eindeutig zu den Designklassikern. Hierzu ein Zitat von Norbert Wild (Kurator Designsammlung, Museum für Gestaltung Zürich): Zum Designklassiker wird, was die kurzlebigen Trends überdauert, eine innovative Komponente aufweist, ästhetisch und funktional von hoher Qualität ist und sich im Laufe der Zeit ins «kollektive Gedächtnis» einprägt.
 
Nicht jeder Stuhl, obwohl er von jemanden entworfen wird, also ein Entwurf, eine Idee dahinter steckt, wird zu Design. Wie so oft im Leben spielen da noch ganz andere Faktoren mit. Ein Designer muss sich richtig verkaufen können, er muss die richtigen Leute kennen und er muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort seine Entwürfe präsentieren können. Es nützt nichts, wenn der beste Entwurf niemand kennt und vor allem wenn Opinionleaders, Journalisten, Hersteller, Verkäufer nicht überzeugt werden können. Im Umkehrschluss kann man eigentlich auch nicht alles, was von einem bereits renommierten Designer stammt, als Design bezeichnen, sondern sollte jeweils auf seine Einzigartigkeit, Innovationskraft, Qualität und Werthaltigkeit geprüft werden.
 
Text zum Sessel «Barcelona» auf www.teojakob.ch
Ludwig Mies van der Rohe verstand sich als Architekt - die Entwürfe für seine Möbel dienten in erster Linie zur Einrichtung seiner Bauten und wurden in den Vorkriegsjahren nur in sehr kleinen Auflagen hergestellt. Zur Weltausstellung 1929 in Barcelona erhielt er von der Weimarer Regierung den Auftrag, einen repräsentativen Pavillon zu entwerfen. Mit diesem Pavillon schrieb Mies van der Rohe Architekturgeschichte. Erstmalig wurde das "Neue Bauen" einer wirklich großen Masse präsentiert. Aber auch mit der Inneneinrichtung schuf er Designgeschichte: Mit dem Sessel «Barcelona» entwarf er einen zeitlosen Möbelklassiker. Der Sessel wurde damals in kleiner Stückzahl und in einer sehr aufwendigen Fertigung von zwei deutschen Firmen gefertigt. Nach Mies van der Rohes Immigration in die USA geriet der Sessel fast in Vergessenheit - erst unter dem Einfluss von Florence Knoll (welche damals unter Mies van der Rohe studierte) wurde der Sessel von Knoll neu aufgelegt. Im Vergleich zur früheren Herstellung ersetzte Knoll das verchromte Bandstahl durch poliertes Edelstahl.
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