March 12, 2010 / erstellt am:  March 12, 2010
Kurzgeschichte

Das Schicksal eines Schwätzers

Seit mehr als einem Jahr schrieb er mehr oder weniger regelmässige Einträge in seinen blog im Internet. Es war ihm eigentlich egal, ob sein Geschriebenes von jemandem gelesen wurde. Er setzte sich einfach jeweils an seinen Computer und begann konzeptlos drauflos zu schreiben. Gerade was ihm so einfiel. Spontan und unreflektiert. Ja, er war ein Schwätzer. Jemand der einfach drauflos plapperte. Beinahe ohne Punkt und Komma, frei nach dem Motto: Wenn er schon nichts zu sagen hat, dann zumindest mit vielen Worten.

Seine Einträge handelten meistens von Alltäglichem, von Erlebtem oder Gelesenem. Es war seine Art meistens ziemlich humorvoll zu schreiben. Manchmal auch ironisch oder sogar zynisch. Aber Hauptsache viel, so dass es vorkommen konnte, dass er sich in einer Ausschweifung verlor, was ihn jedoch nicht wirklich kümmerte, da er seine Einträge selber sowieso nie mehr nachlesen würde. Eines Tages erhielt er aber eine Reaktion auf einen seiner Einträge. Er hatte seinen blog so eingerichtet, dass es ihm beim Starten des Computers anzeigte, wenn jemand einen seiner Einträge kommentierte. Der Kommentar war relativ kurz und bezog sich nicht einmal auf einen der Inhalte des blogs. Genau genommen war es nur ein Satz: «Wenn du weiterhin so viel Müll in deinen blog schreibst, wirst du sterben.»

Der Absender nannte sich «saeflkhjvlo», was auch bereits sehr seltsam war. Der Name war kein richtiger Name, sondern wirkte wie eine Aneinanderreihung zufällig getippter Buchstaben. Zuerst überlegte er, ob ihm irgend jemand aus seinem Freundes- oder Bekanntenkreis einen derben Streich spielen wollte, aber er kam nicht darauf. Er hatte keinen blassen Schimmer. Ein Verdacht war unmöglich. Er musste zugeben, dass er leicht irritiert war. Nachdem er sich aber wieder gefasst hatte, entschied er sich dem unbekannten Kommentator zu antworten mit einer persönlichen E-Mail in dem er einfach mit der Maus auf «antworten» klickte. Es stehe jedem frei zu entscheiden, ob er seinen blog lesen will oder nicht. Genau so wie es ihm frei stehe zu schreiben, was er will, so viel er will und wann er will. Dies ist jetzt nur die Zusammenfassung seiner Antwort, die natürlich wieder um einiges länger und ausführlicher geschrieben war. Als er die E-mail abgesendet hatte, wollte er eigentlich einen weiteren Einträg in seinem blog verfassen. Doch dann musste er doch zögern. Was wäre, wenn die Drohung des Unbekannten doch eintreffen würde? Aber diese Frage schien im absurd. Er hatte keine Feinde. Und überhaupt konnte das Schreiben in einen blog kein vernünftiges Tatmotiv sein, auch wenn jemand mit dem Inhalt des Geschriebenen nicht einverstanden war. Es gibt schliesslich eine Meinungsfreiheit und wer sagt denn schon, was Müll ist und was nicht. Ihm fiel sogar auf, dass der Satz logisch korrekt war, weil wir ja bekanntlich alle einmal sterben müssen. Also insofern war es gar keine Drohung, sondern eine sachliche Feststellung. So betrachtet verlor das Ganze seinen bedrohlichen Charakter und begann ihn sogar zu amüsieren. Er öffnete also auf seinem Computer ein neues Fenster für einen neuen blog-Eintrag und begann über das soeben Erlebte zu schreiben.

Ich habe ihn heute Morgen umgebracht. Ich habe eine Pistole eingepackt und bin zu seiner Wohnung gefahren. Ich kannte seine Adresse bereits seit längerer Zeit. Mich ärgern solche Schwätzer, die einfach ohne viel zu denken nur drauflos plappern. Ich habe ihn gewarnt, aber er hat sich einfach darüber hinweggesetzt, wie es eigentlich von so einer Person nicht anders zu erwarten gewesen wäre. Er war erstaunt, als er mich mit gezückter Waffe vor sich sah und ist von seinem Bürostuhl aufgesprungen. Ich habe nicht lange gezögert und gleich drei Schüsse direkt in seinen Oberkörper abgegeben. Er sank in sich zusammen und ich glaube, er war sofort tot. Ironie des Schicksals war übrigens, dass er gerade an seinem Schreibtisch vor dem Computer sass und einen neuen blog-Eintrag am schreiben war.

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