March 16, 2010 / erstellt am:  March 16, 2010
Kurzgeschichte

selbstverliebt

Er gab zu, dass er selbstverliebt war. Er fand sich sehr toll und vor allem besser als alle anderen. Natürlich hatte er auch gewisse Unzulänglichkeiten, aber diese waren zu vernachlässigen und machten ihn nur sympathisch. Zu perfekte Menschen sind unbeliebt, weil sie Neid hervorrufen, weil sie andere neben sich alt aussehen lassen, weil sie schnell als arrogant und eingebildet betrachtet werden. Er vereinte in sich den idealen Mix aus Perfektion und Unzulänglichkeit. Die Dosierung stimmte, so dass seine Selbstverliebtheit den andern nicht besonders auffiel.

Er kannte die Geschichte vom selbstverliebten Narziss, der dumm, wie er war, im Wasser ertrank, nur weil er beim selbstverliebten Betrachten seines Spiegelbildes auf der Wasseroberfläche das Gleichgewicht verlor. Aber diese Geschichte bezog sich nur auf die äussere Erscheinung. Seine Eitelkeit war ihm nicht mehr so wichtig, obwohl er immer noch als tageslichttauglich galt und sich nicht zu verstecken brauchte. Die Floskel mit den inneren Werten, die wichtiger sind, wurde allgemein eher belächelt, dennoch stimmte er ihr grundsätzlich zu. Und seine inneren Werte waren natürlich makellos.

Er sah, dass andere genau so selbstverliebt waren wie er und sich versuchten ins Zentrum zu setzen, jedoch nie sein Niveau erreichten. Dennoch gab es ihm die Legitimation sein eigenes Ding durchzuziehen. Wenn es die anderen versuchen, dann er erst recht. Nur in schwachen Momenten, erkannte er, das es auch noch andere gab, die vielleicht auch gut waren. Die Angst vor Konkurrenz liess er jedoch gar nicht zu und versuchte sich sogleich wieder auf sich selbst zu konzentrieren, was ihm ja nicht besonders schwer fiel. Nur wer sich selbst liebt, kann auch andere lieben. Eine weitere Floskel, die er ohne Widerrede gutheissen konnte, obwohl ihm die anderen eigentlich egal waren. Hauptsache sie liebten ihn.

Er wollte für die Kunst leben, denn nur wer für die Kunst lebt, ist ein wahrer Künstler. Die Motivation für Kunst ist die Liebe und Selbstliebe ist ein Teil der Liebe, also war es für ihn ein Zeichen, dass er genügend motiviert war als Künstler zu leben. Natürlich sah er auch die Gefahren der Selbstverliebtheit und der Preis dafür war, dass er eher ein einsames Leben führte. Nicht, dass ihn das gestört hätte, so konnte er seine Energie besser seiner Kunst widmen. Trotzdem spürte er natürlich diesen Widerspruch, diese schicksalshafte, künstlerische Zerrissenheit. Einerseits war er selbstverliebt und andererseits wollte er natürlich auch geliebt werden. Es geht um den Drang nach Anerkennung, auch wenn viele behaupteten, bei der Kunst gehe es nur um die Kunst. Er will dafür geliebt werden, was er tut. Bereits als Kind freute er sich über das Lob der Eltern, wenn er etwas besonders gut gemacht hatte. Als Erwachsener läuft das gleiche Spiel, einfach etwas subtiler.

Er schrieb jeden Tag eine Kurzgeschichte, die er sofort auf seiner eigenen Website publizierte um zu zeigen, wie toll er doch schreiben kann und im Endeffekt wie intelligent und einzigartig er doch sei. Die Rückmeldungen hielten sich jedoch in Grenzen, weil seine Freunde und Bekannten zu sehr mit sich selber beschäftigt waren oder weil sie weder Lust noch Zeit hatten sich zu melden. Nicht dass ihn dass gestört oder beleidigt hätte. Er hatte vollstes Verständnis. Allerdings entschied er sich zukünftig seine Kurzgeschichten nicht mehr einfach so gratis auf dem Internet zu publizieren. Heute gibt es ja nichts mehr um sonst auf dieser Welt. Also werde er einen Verlag suchen, der seine Kurzgeschichten in einem Buch veröffentlicht, dass dann in jeder guten Buchhandlung oder bei ihm auf der Website gekauft werden kann. Die neun bisher veröffentlichten Kurzgeschichten sollten nur neugierig machen. Ein Appetizer sein, sozusagen. Natürlich rechnet er damit, dass sein Buch ein grosser Erfolg werden wird, da er ja davon überzeugt ist, dass er der Beste ist.

612 Wörter
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3'910 Zeichen (mit Leerzeichen)
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