May 12, 2011 / erstellt am:  May 13, 2011
gesehen, aufgefallen, gefallen, Grafik, Buch, visuelle Kommunikation

Ein Mann, ein Wort. Eine Frau, ein Wörterbuch.

Sie spricht genau so viel und gerne, wie sie schreibt und sammelt. Die Gestalterin Juli Gudehus aus Berlin stellte gestern an der HKB in Bern wortgewandt ihr «Lesikon der visuellen Kommunikation» vor. Ein unglaubliches Mammutwerk, ein «Schinken» oder «Oschi», wie sie es nannte. Auf 3000 hauchdünnen Seiten (32 gm2) erzählt sie eine «unendliche Designgeschichte».

Es ist eine Mischung aus Lexikon und Lesebuch. Nicht wie in einem herkömmlichen Lexikon alphabetisch geordnet, sondern assoziativ gruppiert und in 508 Kapitel unterteilt sind die Einträge zu 9704 Fachbegriffen rund um visuelle Kommunikation zu einer ungewöhnlichen Collage zusammengestellt. Alles was auch nur im Entferntesten mit visueller Kommunikation zu tun hat, wurde von ihr darin in stundenlanger Fleissarbeit verarbeitet. Nur etwa 10% der Texte hat sie selber geschrieben. Der Rest ist gesammelt, zitiert oder wurde für sie von anderen Autoren geschrieben. Obwohl es um visuelle Kommunikation geht, sucht man vergeblich nach Abbildungen. Die Bilder und Ansichten sollen in den Köpfen der Leser und Leserinnen entstehen. Es gibt nur Texte. Unzählige Definitionen, Anekdoten, Ammenmärchen, Ansichten und Einsichten sind zu finden. Dabei gibt es oft mehrere Einträge zu einem Stichwort, die sich ergänzen aber auch widersprechen können. Es ist ein literarisches Labyrinth, das viele Fragen beantwortet aber auch viele neue aufwirft. Auch Humorvolles und unnützes Wissen findet seinen Platz, was aus einem schnöden Nachschlagewerk eben ein vergnügliches Lesikon entstehen lässt.

Genauso assoziativ wie es aufgebaut ist, sei es auch entstanden. Nichts war geplant, sondern ausgehend von einer Grundidee, wuchs das Projekt beinahe organisch. Es wuchs und wuchs und dauerte 9 Jahre, bis Juli Gudehus das intuitive Gefühl hatte, nun sei es fertig und kann veröffentlicht werden. Aber wer druckt und verlegt so ein irrwitziges Buchprojekt? Trotz urheberrechtlicher Grauzonen war der Hermann Schmidt Verlag aus Mainz bereit, das finanzielle Risiko auf sich zu nehmen und das Lesikon zu veröffentlichen.

Was macht man nun damit? Lesen natürlich. Immer wieder. Nachschlagen oder einfach darin schmökern, sich treiben und inspirieren lassen, sich darin verlieren. Auf der Suche nach neuen Erkenntnissen, was auch die Motivation für Juli Gudehus war, dieses Projekt anzugehen. Im besten Falle hilft es unseren Horizont zu erweitern. Ansonsten erfreut man sich über die Glücksmomente beim Finden von etwas, was man gar nicht gesucht hatte.

Dann wäre da noch das kleine aber feine Detail der Lesezeichen. Jedes Exemplar ist mit einer Auswahl verschiedener und immer anderer Lesezeichen ausgestattet. Es sind Fundstücke von Juli Gudehus, Eintrittskarten, Zeitungsausrisse, Flyer, Postkarten etcetera. Bei der sonstigen Bilderlosigkeit des Buches zeigen sie einen Hauch einer Ahnung der unendlichen Fülle des Schaffens im Bereich der visuellen Kommunikation.

Viele meist positive Reaktionen habe sie erhalten. So erhielt sie auch vom bekannten Schweizer Grafiker Niklaus Troxler eine E-Mail. Warum er denn in ihrem Lesikon nicht vertreten sei, wollte er wissen. Aber der Namen Troxler weckte bei ihr keine passende Assoziation, was sie dazu bewog, ihn ohne böse Absichten nicht zu erwähnen.

Auf meiner Website geht es auch im weitesten Sinne um visuelle Kommunikation. Aber im Vergleich erscheint meine Website mit den bisweilen knapp 500 Einträgen geradezu bescheiden.
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